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Das Medusa-Thema

„Das Thema MEDUSA habe ich ausgewählt, weil es bei diesem Thema um weibliche Machtentfaltung, Dämonisierung und / oder Zerstörungskraft des UR-WEIBLICHEN geht. Diese Deutung bietet der patriarchale Mythos. Wie ein ‚Archetypus’ ruht das Bild der MEDUSA irgendwo auf dem Urgrund der Seele, um als vielköpfige Hydra mit dem vernichtenden Blick und den todbringenden Schlangen oder als das UR-WEIBLICHE, die UR-KRAFT der Frau schlechthin ab und zu aufzutauchen …

Wir tragen diese Bewertungen mit uns herum als europäische Kulturgeschichte.

Als Künstlerinnen, die sich inspirieren lassen durch dieses unerschöpfliche Thema, haben wir uns einerseits mit der Perseus-Geschichte und andererseits mit der feministischen Forschung beschäftigt.“

Ingrid Rafael, Berlin 1992

Text: Dr. Karla Bilang

Zum Beginn der 90er Jahre stand das „Medusa-Projekt“ und die gleichnamige Ausstellung im Künstlerinnenatelier des Atelierhauses Lindower Straße 20 im Zentrum der Arbeit. Das Medusa-Projekt war eine dialogische gemeinschaftliche Arbeit von Ingrid Rafael, Sabine Bender-Marenski und Ilonka Rowa, bei dem sich die drei Künstlerinnen mit den Möglichkeiten der Malerei, der Zeichnung, der Collage und dem skulpturalen Objekt den antiken Mythen und deren feministischer Hinterfragung genähert haben.

Der Mythos und die Medusendarstellungen

Die Gorgonen galten im Altertum als unbesiegbar, da bei ihrem schrecklichen Anblick jeder Krieger zu Stein erstarrte. Auch Perseus, der Sohn des Zeus und der Königstochter Danae, war ausgeschickt worden, das Haupt der Gorgone Medusa zu holen, um dabei den sicheren Tod zu finden. Doch Zeus schickte Athene auf die Erde, um Perseus zu helfen. Sie schenkte ihm einen magischen Schild und führte ihn zu den Schwestern der Medusa, den Graien, die gemeinsam nur ein Auge hatten und daher abwechselnd Wacht hielten. Der listige Perseus entriss ihnen das Auge und zwang sie so zur Preisgabe des Aufenthaltsortes der Medusa.

Auch die Nymphen unterstützten Perseus: Sie schenkten ihm unter anderem eine Tarnkappe, die ihn unsichtbar machte und ein Paar Flügelschuhe zur raschen Flucht. Von Hermes schließlich bekam er ein Sichelschwert, um das Haupt der Medusa abzuschlagen. Im Reich der Gorgonen fand er diese im Schlaf vor und fürchtete dennoch ihren Anblick, der ihn auf der Stelle versteinert hätte. Nur nach dem Spiegelbild des Bronzeschwertes, das ihn die schlafende Medusa zeigte, orientierte er sich und ermordete die Schlafende. Er steckte das Haupt der Medusa in einen Mantelsack und bezwang damit seine Feinde, indem er ihnen das Haupt hinhielt und diese im selben Augenblick zu Stein erstarrten. Im gesamten griechischen und römischen Altertum war das Medusenhaupt das Attribut für Perseus und Athene, vor allem Letztere trug das Medusenhaupt in ihrem Schild und oft auch als Mittelpunkt der Bekrönung ihrer Tempel. Soweit in einer stark verkürzten Form der herkömmliche Mythos aus der abendländischen Geistesgeschichte.

Die amerikanischen Feministinnen haben als erste diese patriarchalen Denkbilder kritisch untersucht und nach der geschichtlichen Herkunft der Medusa geforscht. In dem Buch „The Women’s Encyclopedia of Mythes and Secrets“ von Barbara Walker, das die drei Künstlerinnen damals für ihre Arbeit herangezogen haben, wird die Medusa in ihren mythologischen und historischen Zusammenhängen interpretiert. Sie war eine libysche Königin, die von Perseus enthauptet wurde, um ihren Kopf oder ihre Zeremonialmaske nach Athen zu bringen. Nach anderen Quellen war sie die Schlangengöttin der libyschen Amazonen, welche die weibliche Weisheit repräsentierte.

Die Schlange nun wieder ist in vielen alten Religionen das Symbol des Lebens und des Todes, die Urmutter schlechthin– ob als Regenbogenschlange Quetzalcoatl in der altmexikanischen Religion, ob als Naga, als Nut

Neben dem Mythos und seinen Deutungen sind für die bildende Kunst die Formen der bildlichen Darstellungen von Interesse. Zur Ikonographie der Medusa gehört die hals- und kopflose Gesichtsmaske, die von wildem Haupt- und Schläfenhaar und Schlangen umrahmt wird, der geöffnete Mund mit herausgestreckter Zunge und Zähnen sowie der starre Blick der geweiteten Augen. Die Darstellungen sind rein frontal und in dieser fratzenhaft verzerrten Stilistik aus der archaischen Zeit der Antike überliefert. So ziert die Medusa mit heraushängender Zunge und gebleckten Zähnen als Mittelfigur den Westgiebel des Artemistempels in Korfu. Auch auf Schilden der Athene wurde das „Gorgoneion“ als fratzenhafte Gorgo-Maske wiedergegeben. In der Klassik wurde der Typus vermenschlicht und zum Gleichnis des erhabenen stillen Sterbens, nacherlebbar etwa in der späteren Marmorkopie der Medusa Rondanini, bei deren Anblick kein geringerer als Goethe so bewegende Worte gefunden hat. In der hellenistischen Zeit wurde die Medusa zum Symbol des pathetisch schmerzerfüllten Sterbens. Zur Zeit der Renaissance entwickelte Michelangelo seine „Furien“ anhand der hellenistischen Gorgonendarstellungen. Im Barock ging sie als Siegestrophäe in die Bildprogramme der Architektur ein, in Berlin ist sie beispielsweise im Portal des Zeughauses (1696) zu finden.

Die kunstgeschichtlichen Beispiele zeigen, wie stark, aber auch wie unterschiedlich das Medusenthema in der abendländischen Kunst verankert ist und wie es, je nach der vorherrschenden Geisteshaltung, zwischen Wildheit und Raserei auf der einen Seite und stillem Sterben auf der anderen Seite ausgelegt wird.

Das von den drei Künstlerinnen durchgeführte Medusa- Projekt nimmt auf unterschiedlichen Ebenen zum Thema bezug: Die Zeichnungen von Ilonka Rowa reflektieren die Welt der Antike: Dorische Tempel der archaischen Zeit, aus denen das Haupt der Medusa aufsteigt, hellenistische und römische Tempel mit der Darstellung der sterbenden Amazonenkönigin. Dieser linear-symbolistischen Darstellung stehen die archaischen Köpfe von Sabine Bender-Marenski in der ganzen Machtfülle matriarchaler Körperlichkeit gegenüber.

Ingrid Rafael hat sich intensiv und über einen längeren Zeitraum mit der Thematik und den verschiedenen ikonographischen Aspekten der Medusa befasst. Vor allem nutzt die Künstlerin die wilden Haare, die Haarschlangen, die den Kopf der Medusa umschlängeln, sich aufbäumen und verwildernde Strukturen bilden. Sie werden ein Element oder ein Ausdruck des Unangepassten, des Wilden, des Archaischen – vergleichbar etwa den Punk-Frisuren. In der Umsetzung dominiert das Flüchtige, das Skizzenhafte, der kühne Strich – dieses scheinbar oder tatsächlich Unfertige entspricht in der Struktur unserem unvollkommenen Wissensstand über die MEDUSA, einiges ist sicher, manches ahnbar, vieles ist verfälscht worden. Im Ganzen aber ist das Bild flüchtig, beeindruckend in seiner Bedeutsamkeit an der Schwelle des Untergangs der matriarchalen Zeit, aber in der Gegenwart doch schwer zu verorten. Das Negative und die Macht der Zerstörung werden in unserem heutigen Verständnis selten in den Vordergrund gestellt, denn in unseren dualen Denkstrukturen können wir uns nur schwer damit identifizieren. Und so deutet die Künstlerin das Bild um: Medusa-lieb (Pastell, 1991) zeigt uns ein vollkommenes Frauenantlitz, umwallt von Haaren und Schlangen. Hier ist eher die Macht der Schönheit als die Macht der Hässlichkeit dargestellt. In der Tat gibt es auch die neuzeitliche Deutung, dass die Medusa die Männer durch ihre Schönheit und durch ihren intensiven Blick verzaubert und tötet.

Auf den Kampf des Christentums gegen das Archaisch-Heidnische spielt das Bild Le PAPA e gli duemeduse (1992) an, in dem der Papst bedrängt wird von der Leiblichkeit und Schlangenköpfigkeit der Gorgonen und seine hohe rote Mitra die ausgestreckte Zunge der Gorgo ist. In der Tat hat vor allem die christliche Kunst den Unterschied von heidnisch und christlich zu einem ethischen Dogma erhoben. In ihrer Auslegung ist die Schlange das Böse, sie verführt Eva zur Sünde.

In einigen Bildern sind nur die Schlangen dargestellt; ineinander verschlungen bilden sie eine fast abstrakte dynamische Struktur, die in einigen Variationen neben den Schlangen auch die Körper von Tänzerinnen vermuten lässt. Das Thema Tanz der Medusa hat die Künstlerin in einer Serie von Farbholzschnitten dargestellt, wobei vor allem bei den Aktdarstellungen der Frauenpaare in der Stilistik, Motivik und in der Linienführung manche Parallele zum Statuarischen und zur inneren Monumentalität altgriechischer Skulpturen und Reliefs zu entdecken ist. Daraus entwickelten sich in den Jahren zwischen 1993 und 2000 viele erotische Darstellungen von Frauen in Aquarell, Kreide und großformatigen Mischtechniken.